Luxus: Ein Schlafzimmer für mich allein mit einer richtigen Matratze. Eine warme Dusche. Ein Ofen, der funktioniert. Die freie Wahl, was und wann ich essen will. Die Freiheit, dorthin gehen, fahren oder fliegen zu können, wohin ich will. Einen der – was Visafreiheit anbelangt – wertvollsten Reisepässe der Welt.
Ich kann mir nachher einen gesunden Smoothie machen und kann mich in zwei Sprachen gut, in einer weiteren bruchstückhaft verständigen. Ich habe stabiles Internet und kann mir Bücher besorgen und lernen, was ich will.
Die aktuelle Situation in Moria
Ich habe Privilegien von denen die Menschen in Moria nur träumen können, die zu acht in einem 2 x 3 m großen Containerzimmer schlafen – wenn sie so viel Glück haben. Die anderen schlafen auf 1 cm dünnen Plastikmatten in Zelten.
Dennoch – so schlimm es auch ist – die Situation ist weit weniger katastrophal als vor ein oder zwei Jahren, wo die Kanalisation nicht funktionierte, das Camp völlig verhüllt war und es fast jede Nacht im Lager Kämpfe gab. Ich hab in meiner Zeit nur eine Prügelei zwischen zwei Frauen mitbekommen und natürlich Rangeleien unter den Kindern.
Es gibt – durch ehrenamtliche Mitarbeiter – eine medizinische Grundversorgung. Wunden können desinfiziert werden, schwer traumatischere Menschen erhalten Beruhigungsmittel, Zähne werden gezogen oder gefüllt.
Im Lager ist insgesamt eine gewisse Routine eingekehrt. Die Wohnsituation ist nach wie vor schwierig bis katastrophal, doch die Grundversorgung klappt. Die Menschen bekommen zu essen (ein zuckersüsses Schokocroissant als Frühstück) und auch viel Brot zum Abendessen. Wenig Gemüse oder Proteine. Ab und zu Tomaten griechischen Käse oder ein Ei.
Viel Menschen kochen in den Unterkünften selbst – was natürlich wegen Brandgefahr verboten ist, aber keiner hat Verlängerungskabel, um die Herdplatten nach draußen zu legen.
Die Menschen haben sauberes Trinkwasser, bei der Ankunft bekommen sie Kleidung, Decken, einen Schlafsack und eine dünne Matte. Immerhin konnten im März 1100 gespendete Matratzen verteilt werden. Die Bewohner erhalten ein Taschengeld (90 Euro im Monat) und haben grottenschlechtes Internet, das sich viel zu viele teilen, aber es ist immerhin vorhanden. Müll wird entsorgt und vor und in den Unterkünften ist es sauber und ordentlich – nur an manchen Wegen und Ecken liegt etwas Dreck.
Kinder und Jugendliche in Moria
Weil Moria ja eigentlich nur ein Hotspot ist, an dem die Leute sich kurzfristig zur Registrierung aufhalten, gibt es keine Schule, obwohl die Kinder und Jugendlichen in der Regel mehrere Monate bis zu zwei Jahren in Moria sind. So viel zum Thema kurzfristig.
Einige Hilfsorganisationen bieten eine Stunde Unterricht pro Tag an – mit Lehrern, die selbst geflüchtet sind. Für die minderjährigen Jungs ist es besonders hart, dass sie in ihren besten Jahren – wenig Möglichkeiten haben etwas zu lernen und nichts zu tun haben.
Die Kinder spielen im Camp oder im benachbarten Olivenhain. Sie kochen – wie überall auf der Welt – Suppe aus Blüten und Blättern, streiten und versöhnen sich, erfinden Spiele und Spielzeug. Wie das eine Mädchen, das mich um vier Stück Gummiband bat, als ich gerade mit anderen Kindern Armbänder aus elastischem Gummiband flocht. Sie kam zurück und hatte aus Pappe und dem Gummiband ein Instrument mit vier Saiten gebaut.
Die Situation in Europa
Was mich mehr bewegt und fertigmacht als die beengte, ärmliche Situation ist das Verhalten Europas (auf dem Bild die türkische Küste oben, Lesbos unten rechts).
Die Möglichkeiten, Geflüchteten zu helfen, werden immer mehr eingeschränkt. Es zählt nicht mehr, dass es sich um Menschen handelt. die ein Recht darauf haben, vor Krieg und Gewalt zu fliehen.
Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, die im Mittelmeer mit einem Rettungsboot unterwegs war, um Menschen zu retten, aber dann wegen “Menschenschmuggel” angeklagt wurde, erzählte von den Reaktionen der Küstenwache, wenn sie die Information weitergaben, dass sie eine Leiche auf dem Wasser gefunden haben:
- Ist es ein Schwarzer, versenkt den Körper im Meer.
- Ist es ein Weißer, bringt ihn zur Identifizierung an Land.
In Griechenland ist es verboten, mit Autoscheinwerfern in Richtung Meer zu leuchten. Das gilt als Fluchthilfe – das Licht könnte ja Booten den Weg zeigen. Es ist auch nicht erlaubt einen gerade angekommenen, durchnässten und frierenden, aber noch nicht von den Behörden registrierten Flüchtling, im Auto ins nächste Camp zu bringen. Auch das gilt als Fluchthilfe.
Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen kann – ich schäme mich für so viel inhumane Gesetzgebung. Und fühle mich hilflos. Ich finde es einfach nur schrecklich.
Eigeninitiative in Moria
Die kleinen und großen Projekte der Menschen, ihr Leben zu verbessern, haben mich beeindruckt. Die Friseure und Bäcker und Verkäufer, die ihre Läden aufgemacht haben. Die Kinder, die sich “Schlitten” bauen usw.
Im Camp habe ich eine Frau aus Afghanistan, die ich mal Safira nenne, kennengelernt. Sie hat eine Gruppe für Frauen ins Leben gerufen, um den Frauen bei der Bewältigung der schwierigen Situation zu helfen.
Die ca. 15 Frauen gehen regelmäßig – ich glaube sogar täglich – walken. Und sie teilt in einer WhatsApp Gruppe Bücher mit ihnen, die hilfreich sind. Sie würden auch gern noch mehr Sport machen, haben aber keine Kleidung, in der sie sich gut bewegen können.
Ich habe mir das als privates Projekt aufs Herz genommen, weil keine Hilfsorganisation Spendengelder für Einzelinitiativen von Geflüchteten so etwas verwenden darf. Ich finde es aber klasse, wenn Menschen selbst Initiative ergreifen, um ihre Situation zu verbessern
Mein Ziel ist es, 300 Euro oder mehr zusammenzubekommen. Für 20 Euro könnte man einfache Shirts und Sporthosen bekommen. Für 10 Euro mehr können wir vermutlich auch einfache Sportschuhe kaufen.
Wenn ihr mithelfen wollt und zum Beispiel einer Frau Sportkleidung schenken wollt könnt ihr das gern über mein Konto machen. Ich leite das dann an eine Mitarbeiterin vor Ort weiter: DE20 1008 0000 0479 8594 08 oder per Paypal: Info@down-to-earth.de
Mehr Infos und Einblicke und Spendenmöglichkeiten für die Situation in Moria
Foto rechts: Einige der Menschen, die gerade auf Lesbos leben. Jede grüne Nummer ist ein Mensch mit einer Geschichte.
Das allgemeine Spendenkonto für Moria und weitere aktuelle Geschichten und Berichte von Andrea Wegener, einer Mitarbeiterin vor Ort, findet ihr auf dem Blog von Andrea.
Ich werde Moria und die Menschen dort im Herzen tragen… und wer weiß vielleicht gehe ich mal wieder dorthin zurück. Wer selbst mithelfen will, kann sich bei Eurorelief informieren und anmelden.
Es gibt in Deutschland ca. 150 Sammelstellen für Hilfsgüter – von GAIN, der Organisation, die nicht nur, aber auch in Moria hilft. Hier gibt es die Übersicht, was gebraucht wird.
Agean Boat Report berichtet tagesaktuell, wie viele Menschen auf den griechischen Inseln ankommen oder es auch nicht schaffen. An unserem Abreisetag waren es zwei Boote. Eines mit 25 Menschen, davon 15 Kinder, vier Frauen, sechs Männer. Und ein weiteres Boot mit 8 Menschen.
Evi, die Leiterin unseres Teams, hat noch ein paar Vlogs gepostet:
English
Vlog day 1:https://youtu.be/GLsirIssj8A
Vlog day 2: https://youtu.be/eSbAftUu9Wg
Vlog day 3: https://youtu.be/92KJdhChhaY
Vlog day 4: https://youtu.be/oQseX3u_f1Y
Vlog day 5: https://youtu.be/b5sv8fzos4I
Vlog day 6: https://youtu.be/0GbuPNC7lCY
Vlog day 7: https://youtu.be/qDKYWg5HKBA
Vlog day 8: https://youtu.be/6-ubkpghYDc
Deutsch von Leah Timmermann:
1. https://youtu.be/lPppWzCfyZg
2. https://youtu.be/ptw4xLVRAaY
Special vlog on Sykaminia, where many refugees land with their boats:
https://youtu.be/fESmpN2HLfI
Willkommenskultur
Wer hierzulande Geflüchteten Menschen Unterstützung bieten möchte, dem empfehle ich mein Quadra-Heft “Willkommenskultur”
Danke für deine Berichte, liebe Kerstin. Das ist so wichtig.
Gern geschehen. Es war mir wichtig, euch an dem Erleben Anteil zu geben.