Wir sind am Donnerstag Morgen um 8. 00 losgefahren in Richtung Addis Abeba. Mit gutem Puffer. Freitag Morgen um 4.00 sollte mein Flug gehen. Also 20 Stunden Zeit für eine 5 Stündige Reise. Nach nur 4 Stunden Fahrt waren wir 1 Stunde südlich von Addis. Aber erhielten die Info, dass die Strassen gesperrt sind
- von der Regierung, die niemanden nach Addis reinließ
- von Demonstranten, die selbst Straßensperren errichtet hatten.
Das komplette Gebiet rund um die Hauptstadt wird von der Oromo Volksgruppe bewohnt, die 30% der Bevölkerung stelllt, sich aber oft als benachteiligt empfindet. Es gibt regelmäßig Demonstrationen und Auseinandersetzungen zwischen den Oromo und der Regierung. Aktueller Anlass: Der Oppositionsführer hatte eine Rede im Fernsehen gehalten, die Menschen aufgewühlt und zu Protesten veranlasst hat.
Stellt euch einfach 1. Mai früher in Berlin oder im Hamburger Schanzenviertel vor. Da will man nicht mit dem Auto reinfahren. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass in Äthiopien das Schanzenviertel nicht in der Hauptstadt liegt, sondern die Hauptstadt im Schanzenviertel.
Festsitzen in Äthiopien
Wir saßen also in einer Kleinstadt fest, riefen die deutsche und schweitzer Botschaft an. Die Schweizer sagten: “Hören sie auf ihren einheimischen Fahrer… ”
Die Deutsche sagte: “Bleiben Sie, wo sie sind. Oder versuchen sie einen Flug nach Addis zu bekommen. Es gab Tote bei den Unruhen. Wir haben ihren Aufenthaltsort an das Auswärtige Amt gemeldet. Sie stehen jetzt unter konsularischem Schutz.” Praktisch hat das zwar nichts genützt, aber es klang zumindest gut: “konsularischer Schutz”…
Es gibt 3 Provinzflughäfen, die 5, 6 oder 8 Stunden entfernt waren und wegen der Unruhen extrem lange Wartelisten für die Flüge hatten. Abwarten und Tee trinken. Ds haben wir 4 Stunden gemacht, bis wir wirklich ratlos waren. Das einzige Hotel, das wir kannten, war natürlich ausgebucht.
Die große Überraschung
Dann kam eine Gruppe Ausländer mit einem äthiopischen Guide (der sich später als äthiopisch-stämmiger Amerikaner names BETE herausstellte). Es waren Mediziner, die 14 Tage in einem Hospital gearbeitet hatten (15 min entfernt in der Pampa Pampa) und jetzt zusammen was trinken gehen wollten.
Bete, der im Land lebt, riet uns dringend davon ab, weiterzufahren, weil das viel zu riskant sei und die Straßensperren ohnehin frühestens am nächsten Morgen von der Armee freigeräumt werden würden. Er sagte: “Wir alle müssen Morgen auch nach Addis, und es gibt keine Garantie, dass die Straßen aufgehen. Wir haben deshalb entschieden, 6 Stunden zum Provinzflughafen in den Süden zu fahren. Wir haben ein Flugzeug für die ganze Gruppe gechartert. Weil es nur Flugzeuge für 50 Leute gab, haben wir noch Platz. Wir sind nur 20. Wir laden euch ein mitzukommen. Ihr könnt auch bei uns im Göstehaus übernachten. Zahlen bruacht ihr nichts – ihr seid unsere Gäste.”
Also haben wir dort übernachtet, ich hab einer Frau noch geholfen, ihre Flugangst zu überwinden und einer anderen Tipps gegeben, was ihrer traumatisierten Tochter helfen könnte.
Der Clou: Die Gruppe bestand auch vor allem aus Christen, von der Prägung her eher evangelikal. Am Morgen hatte ein Mädchen nach der Gebetszeit den Eindruck, dass Gott ihr sagt (so was hatte sie noch nie erlebt): Wir werden heute noch Menschen begegnen, die Freunde fürs Leben werden.
Die Rückreise mit Clou und Kuh
Wir fuhren also um 4.00 los, unser genialer Fahrer wies den Bus der anderen mit Warnblinkanlage immer auf besonders tiefe Schlaglöcher hin, was die Fahrt für die Gruppe sehr erleichterte.
Für eine Frau war es ein besondereres Geschenk, weil sie als Missionarskind in der Nähe des Flughafens von Arba Minch aufgewachsen war, die Gegend aber seit 40 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie konnte sich nicht sattsehen an der alten Heimat.
Wir waren um 10.30 am Provinzflughafen und flogen um 11.00 los nach Addis. Wir starteten voll durch und bremsten ebenso voll ab. Noch auf der Rollbahn legte der Pilot eine krasse Vollbremsung hin – da war gerade eine Kuh über die Startbahn gelaufen!!!
In Addis war es noch etwas mühsam, einen neuen Flug zu buchen. Ich konnte online buchen, aber nicht bezahlen, weil es in Äthiopien keine internationalen Banken gibt, die Kreditkarten akzeptieren….Wir mussten also noch mal zum Büro der Fluggesellschaft, um den online gebuchten Flug bar zu bezahlen… manchmal wissen wir gar nicht, wie bequem wir es im Westen haben…
Die Lage im Oromo Gebiet beruhigte sich langsam….bis Freitag Nachmittag gab es aber offensichtlich noch Straßensperrungen.
Ich bin riesig dankbar für neue Freunde und für Gottes Versorgungswunder – ich hab versucht, die Wahrscheinlichkeit auszurechnen, dass man der vermutlich einzigen Gruppe begegnet, die einen Charterflug gebucht hat und noch freie Plätze hat. Und ich bin dankbar für neue Freunde. Wenngleich ein bisschen traurig, dass ich nicht beim Geburtstag meiner Freundin dabei sein konnte.
Danke für den Bericht, so ähnlich hatten wir geahnt … so hast du die ganze Breite möglicher Herausforderungen erlebt … und Gottes Hilfe und Schutz ebenso. Dank sei IHM.
Ja, das war schon recht wild. Ich bin SEHR dankbar für die wunderbaren Lösungen und Führungen.
Uff…. Danke JESUS! Ich ahne all diese Gefühle…, die man irgendwie nicht wirklich mitberichten kann. Wir freuen uns sehr, dass du heil wieder in Deutschland gelandet bist. In 12 Tagen fliegen wir los…
Ansonsten wünschen wir dir eine gute Sabbat-Zeit in NZ und freuen uns über Berichte.
LG
Susi
Ja, ich spüre jetzt auch im Nachhinein, dass mir in der Situation Trost gefehlt hat. Gut, dass man den auch noch nachträglich empfangen kann… Euch ganz viel Segen in dem wunderbaren Land!
Oft wird “phrasenhaft” gesagt: Gott sei’s gedankt!” Aber ich meine es wirklich , wirklich so.
Da hast du echt eine wilde Story erlebt. Gut, dass du alles heil überstanden hast. Die Hinreise war ja schon abenteuerlich genug….
“Story” – ja das lieben wir Europäer. Hören, unterhalten werden, vergessen.
Für mich ist deine Geschichte mehr. Sie ist ein hilfreiches Puzzlestück für mein interkulturelles Verständnis. Und ich danke dir dafür.
Ich habe sowohl Oromos (streng muslimisch) als auch amharisch sprechende christliche Äthiopier in meinen Kursen. Oft denke ich über Zusammenhänge, Flucht- und Traumagründe nach.
Jeder Mensch hat eine Geschichte.
Schade, dass Berlin so weit weg ist. Sonst könnten wir mal bei einem Kaffee ausführlicher werden. ☺ Liebe Grüße
Hallo, Ina
danke für deine lieben Worte. Ich bin auch sehr, sehr dankbar. Und wie schön, dass das was ich geschrieben habe, hilfreich für dich ist.
Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es auch eine großen Konflikt um die Hauptstadt. Die braucht eigentlich Platz, weil sie so stark wächst. Aber um Addis herum ist nur Oromo Gebiet. Das führt zu Spannungen. Der neue Präsident ist Oromo. Die bisherigen Präsidenten haben ihre jeweilige Volksgruppe bevorzugt, das macht er nicht. Er versucht fair für alle zu sein, aber die Oromo finden das natürlich nicht so toll.
Das waren die Bruchstücke, die ich gehört habe, als ich im Land war. Unter den Oromo gibt es auch eine ganze Menge Christen. Ich hab einige kennengelernt. Alles Liebe – Kerstin
Ein tolles Amharisches Wort ist ISCHI. Heißt so viel wie okay, gut. Kann aber auch als Tschüss verwendet werden. Ist gut jetzt, ISCHI. Wird von allen verstanden…