Das vielerorts gefeierte Reformationsjubiläum ist ein guter Anlass, darüber nachzudenken, wie denn Reformation im eigenen Leben aussehen könnte.
Luther hat sich mit seinen Thesen gegen Überzeugungen gewandt, die das entspannte (Glaubens)-Leben nicht förderten, sondern eher behinderten. Und lautstark seine Gegen-Sätze zu diesen einschränkenden Überzeugungen in die Welt gerufen. Dass der Stein, den er damit ins Rollen brachte, auch die eine oder andere Struktur mitriss, war so wohl nicht beabsichtig, aber das ist eine andere Geschichte.
Meine These
95 Thesen sind mir etwas zu viel des Guten. Simplify und minimalistischer Lebensstil sind ja in. Auch in meinem Kopf. Also hab ich mich auf einen Satz beschränkt, der mein Leben einschränkt.
“Du musst es schaffen!”
Dieser Satz ist ebenso umfassend wie unerbittlich. Er sagt: “Alles, was dir an To-Dos auf den Schreibtisch, ins Haus, in Gedanken, in Begegnungen in dein Leben kommt, das musst du schaffen!” Wie grausam. Wie unbarmherzig. Wie ungnädig.
Meine Frage ist nicht: “Wie finde ich einen gnädigen Gott?” Dank Luther ist das ja schon mal sortiert: Durch das, was Christus getan hat, erhalten wir Gottes Gnade als Geschenk.
Meine Frage ist viel mehr: “Wie bekomme ich ein gnädiges Ich!”
Nachdenken
Mir hilft da erst mal Nachdenken. Diesen Satz habe ich von meinen Eltern übernommen. Die lebten auf einem Bauernhof. Da musste man die anstehende Arbeit schaffen, um versorgt zu bleiben, um zu überleben: Die Tiere mussten gefüttert werden, sonst würden sie sterben. Die Ernte musste eingebracht werden, sonst würde sie verderben.
Der Satz war und ist sinnvoll in Situationen, in denen das Überleben bedroht ist. Wenn man auf der Flucht um sein Leben rennt oder ein Sturm die Ernte bedroht, dann kann der Satz “Du musst es schaffen, sonst stirbst du!” helfen, letzte Energiereserven zu aktivieren. Und das Leben zu sichern.
Der Unterschied zu heute ist, dass die Arbeit damals tatsächlich begrenzt war – durch die Größe der Felder und die Anzahl der Tiere. Damals konnten Menschen nicht einfach mit ein paar Klicks auf einer Tastatur anderen Menschen Aufgaben aufbürden, die Zeit und Mühe kosten.
Mails sind To-Dos, die andere für dich schreiben. – Christine Carter
Anderes als früher haben Aufgaben heute fast keine Grenzen mehr. Zu denken, man müsste oder könnte alles schaffen, was irgendwie an Aufgaben an einen herangetragen wird, ist Anmassung und Hybris.
In dem Satz “Du musst es schaffen!” schwingt innerlich jedoch noch die gleiche Bedrohung des Lebens mit, die frühere Generationen empfunden haben, wenn sie ihn sagten.
Wir denken: “Du musst es schaffen, sonst ist dein Leben bedroht!” Und realisieren oft gar nicht, dass gerade das Viele “schaffen müssen” uns Kraft, Gesundheit und Leben raubt.
Nachfühlen
Negative Sätze sind nicht nur in unserem Denken abgelegt, sondern über Hormone und körperliche Reaktionen auch in unserem ganzen Körper. Der Satz “Du musst es schaffen!” löst Stress und Angst aus.
Weil ich das weiß, habe ich mir erst einmal die Zeit genommen, zu spüren, wo im Körper und in der Seele ich diesen Satz spüre. Ganz klar im Nacken. Etwas auch im Bauch. Und dann durch gezielte rechts-links-Bewegungen, die ich aus dem Coaching kenne, den körperlichen Stress, der mit diesem Satz verbunden ist, neutralisiert. (Mehr dazu im Quadro “Blockaden lösen“)
Das tat gut.
Gegensatz finden – neue These
Vermutlich wird der Satz “Ich muss es schaffen!” immer mal wieder in meinen Gedanken auftauchen. Ich habe mir überlegt, was ich dazu als Gegenthese brauche. Ganz klar war mir: Ich wollte mich nicht von dem “es” herumkommandieren lassen. Nicht es bestimmt, sondern ich will bestimmen, ob ich es tue.
So heißt mein neuer Satz jetzt in Übereinstimmung mit dem, dass ich mich als die Regentin meines Lebens sehe:
Ich entscheide, was ich jetzt tue!
Und ergänzend dazu noch einen weisen Rat an mich selbst.
Nimm nicht mehr To-Dos an, als du auch wieder loswerden kannst.
Ich glaube, mit diesen beiden Sätzen habe ich eine gnädigere Lebensregentin gefunden als die alte mit ihrem dummen “muss”!
Das ist eine echte Reformation.
P. S: Ach ja…immer wenn ich an Luthers Thesen denke, erinnert mich das daran, dass ein Kind in einem Schulaufsatz mal schrieb: “Dann nagelte Luther seine Prothesen an die Tür.” Die Vorstellung hat auch was.