Transforum – eine Konferenz, die transformiert
Es gibt Konferenzen, zu denen geht man. Die genießt man. Und dann geht man wieder. Mit einigen schönen Impulsen und Erinnerungen. Gut war´s. Schön war´s. Das war´s.
Und dann gibt es andere, bei denen man ahnt, dass das, was da geschah, etwas bewegt hat. Einen nicht mehr loslässt. Das Transforum 2012 gehört für mich zur letzteren Sorte.
Thema: Hinsehen. Aufstehen. Einmischen. Gerechtigkeit für die Stadt.
Dass die Konferenz bewegt hat, fing schon damit an, dass sie auf vielen Ebenen stimmig war. Da wurde Geld nicht für teure Deko ausgegeben, sondern der Raum mit Tulpen in beklebten Milchtüten und Tüchern aus recycelten Putzlappen dekoriert.
Da waren Berliner aus einem halben Dutzen Herkunftsländern in der Band vertreten. Da wurden die Teilnehmer nicht mit endlos langen Vorträgen zugetextet. Sondern durch prägnante, relativ kompakte Vorträge ergänzt von Interviews, Gesprächsrunden, Filmen und poetisch -musikalischen Beiträgen. So dass das Hirn aufnahmebereit blieb. Wozu übrigens auch vernünftiges Essen beitrug. Obst als Pausensnack und lecker gekochtes Essen und viele Salate statt Konferenz-Junkfood. Herrlich. Und natürlich Fair Trade Tees und Kaffee. Logisch. Stimmig.
Persönliche Highlights. Vortrag von Harald Sommerfeld zum Thema „Hinsehen“. Er zeigte in gewohnter Spitzzüngigkeit und Kreativität auf, wo wir eine verzerrte Perspektive haben. Wenn wir an Missbrauch von Steuergeldern denken, haben viele oft als erstes den Missbrauch durch Leute, die Hartz IV bekommen, ohne es wirklich zu brauchen, im Kopf.
Harald zeigte dann mal einige (sehr konservative) Schätzungen auf. Geschätze Höhe des Missbrauchs von Hartz IV: 3 Milliarden Euro pro Jahr. Geschätze Höhe der Wirschaftskriminalität: 100 Milliarden
Autsch. Wer sind da die Verbrecher?
Szenenwechsel: Tottenham Riots 2011. Harald ging besonders auf eine realtiv große Gang (600+ Mitglieder), die mitverantwortlich für die Gewaltexzesse waren und auf deren Konto noch ein paar andere Verbrechen gingen wie etwa Mißhandlung ihrer Frauen, Körperverletzung, Einlösen ungedeckter Schecks, Ladendiebstähle, Betrug, Trunkenheit am Steuer (84!).
Die Mitglieder dieser „Gang“ – das sind die ehrwürdigen Menschen, die als Abgeordnete im Britischen Unterhaus sitzen.
Holla, das hat mich erwischt. Ich denke bei Verbrechen wie viele andere zuerst an die sozial Schwachen. Nicht an die „da oben“.
Hinsehen. Oder Hinhören. Auch als – als Teil der Vortrags – junge Rapper aus dem Soldiner Kiez erzählten: „Ich hab es satt, dass alle denken, ich wäre für den 11. September verantwortlich – nur weil ich Moslem bin.“ „Ich möchte so gern einen guten Weg gehen, aber wenn man in einer Schulklasse ist, in der fünf Schurken sind, ist das ganz schön schwer.“ „Oft kann ich nachts nicht schlafen, weil mir so viele Fragen durch den Kopf gehen.“
Und dann. Freitag Morgen. Aufstehen. Sr. Margit Forster von Solwodi (Solidarity with Women in Distress). Sie erzählte von dem Schicksal von Frauen, die von Menschenhändlern verschleppt und in die Sex-Sklaverei verkauft werden. Auch hier in Deutschland. Etwa 10.000 Prostituierte gibt es schätzungsweise allein in Berlin. Sie arbeiten auf der Straße, in Bordellen, in Hinterzimmern von Kneipen. Einige, freiwillig, um Geld zu verdienen (freiwillig, wenn es keinen anderen Weg zu geben scheint, um der Armut zu entkommen?), viele, um ihre Drogensucht zu finanzieren (ist Sucht freiwillig?).
Dann noch etwa 70 % der Frauen, die von Zuhältern oder Zuhälterinnen kontrolliert werden. Manche eingesperrt und wirklich physisch gefangen. Andere gefangen in den Drohungen: „Wenn du abhaust bringen wir dich um.“ oder „Wir wissen, wo deine Familie lebt. Wenn du nicht mitmachst, bringen wir sie um.“
Was mich besonders betroffen gemacht hat. Viele der afrikanischen Prostituierten sind Christinnen. Eine Frau, die sie in den Bordellen besucht, sagt, dass sie oft Lobpreismusik hören und eine Bibel in ihren Zimmern liegen haben. Nein, sie wollen diese „Arbeit“ nicht tun. Sind gefangen in den Zwängen. Mich hat das sehr betroffen gemacht. Die Bibel sagt, dass wir uns um alle Menschen sorgen und kümmern sollen, aber ganz besonders um unsere Geschwister im Glauben.
In Berlin komme ich oft mit dem Rad an einer der Straßen vorbei, an der die Frauen stehen. Ich habe mich oft gefragt, warum sie nicht abhauen…die nächste Ubahn ist nur 100 Meter entfernt. Jetzt weiß ich es. Und ich habe mich gefragt, was ich tun kann. Ich bin beruflich so viel unterwegs, dass ich mich nirgendwo regelmäßig engagieren kann. Aber ich habe mit Sr. Margit gesprochen. Sie brauchen Frauen, die ehemalige Prostituierte, die aussteigen wollen, bei Ämtergängen begleiten. Als Übersetzer. Innere Stärke. Ab und zu. Nach Bedarf. Das kann ich. Ich habe weiche Knie. Weiß nicht genau, worauf ich mich da einlasse. Neuland. Doch die Frauen haben viel mehr Grund, Angst zu haben als ich. Da kann ich mein bisschen Angst ruhig mal überwinden. Heute habe ich Sr. Margit geschrieben: „Ich mache mit.“
PS: Es lohnt sich, auf der Internet-Seite des Transforum vorbeizuschauen. Dort werden bald die Hauptvorträge zum Download erhältlich sein.
Danke, Kerstin, für diesen subtilen Kommentar und deine Bereitschaft, selber zu reagieren! Ich verlinke deinen Blog auf unsrer FB-Seite.
So subtil fand ich den gar nicht…..gerne dürft ihr verlinken…