Ein typischer Tag im Leben eines Berliner Flüchtlings

Kinder in Berlin 8.11.In den letzen Wochen habe ich viel im Hintergrund gewirbelt, die Facebook-Gruppe „Volunteer Translators“ gestartet, Material und Spenden organisiert, einzelne Menschen unterstützt. Gestern war ich zum ersten Mal in unserer zentralen Registrierung- und Leistungsstelle für Flüchtlinge, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz LaGeSo.
Ich hab vieles mit eigenen Augen gesehen, was ich nur aus Medienberichten kannte – Unzählige Menschen, die auf der Straße schlafen, riesiges Gedränge, bei dem verzweifelten Versuch einen begehrten Platz in Bus zu erhalten, der zur Notunterkunft führt usw.

Typischer Tagesablauf eines Berliner Flüchtlings:

  • Vor 0.00 Aufstehen.
Fertigmachen. Fahrt  zum LaGeSo
  • 0.00 – 4.00 Warten
Warten auf dem Bürgersteig vor dem LaGeSo – auch mit Kindern /siehe Bild.
  • 4.00 Einlass
Die Wartenden dürfen aufs Gelände. Viel Gedränge, weil alle verzweifelt sind und rein wollen. Praktisch täglich kommt es da zu Verletzungen. 
  • 4.00 – 20.00 Warten
Warten im Gelände mit mehreren Hundert anderen, in der Hoffnung, heute dranzukommen. Wenn man Glück hat schafft man es an einem Tag, dranzukommen. Flüchtlinge sagen, es kommen nur dreißig von ihnen pro Tag dran. Das halte ich für etwas untertrieben, aber klar ist: Meist dauert es 7 Tage und Nächte oder auch 14. Dann hat man vielleicht 14 Tage Pause, bevor man sich wieder wegen eines Stempels, einer Bewilligung oder eines Übernachtungsplatzes anstellen muss. 
  • 20.00 – 24.00 Schlafen
Fahrt „nach Hause“ ins Hostel oder die Notunterkunft. Wenn die zu weit weg ist, bleibt man am LaGeSo.
 
Gestern hat mir ein Flüchtling, dessen Arm kürzlich bei einem Ansturm aufs LaGeSo gebrochen wurde, gesagt: „Ich kann nicht glauben, dass das Deutschland ist.“ Ich kann es auch kaum glauben.“
 
Wie soll da Integration, Deutsch lernen, in dieser Stadt ankommen, gelingen?
Veränderungsideen
Mir ist klar: Es ist eine hohe Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter der Behörden. Und ich habe großen Respekt vor den Mitarbeitern, die Tag für Tag unter großen zeitlichen wie emotionalen Belastungen ihre Arbeit machen. 
 
Dennoch sehe ich eine Reihe von Ideen und Möglichkeiten, die Situation zu verbessern:12189019_10206022048805240_3684194413684169467_n
– Einige Aufgaben des LaGeSo zu dezentralisieren und Außenstellen in den Bezirken einzurichten (Mobile medizinische Teams, Verlängerungen etc.). Vielleicht nach dem Vorbild der Job Centers „Refugee Centers“ einrichten.
– Die vom Berliner Senat schon längst beschlossene Gesundheitskarte für Flüchtlinge endlich umzusetzen, damit Flüchtlinge nicht mit jedem Rezept eine Bewilligung für Kostenübernahme einholen – und wie in einem Fall (Mann mit Herzkrankheit) – sieben Tage und Nächte anstehen müssen.
GEZ stoppen: Den Flüchtlingen keine Aufforderungen schicken, Rundfunkgebühren zu zahlen (kein Witz, das funktioniert reibungslos, sobald sie ne Anschrift haben! / Bild)
Abholstellen einzurichten, wo Menschen, die bearbeitete Papiere nur abholen müssen, hinkommen können, statt sich in der Riesenschlange anzustellen
– Längere Bewilligungszeitraum: Bewilligugngen für Hostels, Notunterkünfte auf die gesetzlich maximale Frist auszudehnen, damit die Leute nicht alle paar Wochen anstehen müssen, sondern seltener
– Internet nutzen: Es gibt Skype, Email, Scanner, Apps. Nicht alle Verwaltungsvorgänge müssen doch live vor Ort gemacht werden. Wir sind doch im 21. Jahrhundert. Es wäre genial, wenn Berlin als innovative, moderne Stadt hier Modelle zur schlanken, virtuellen Administration entwickeln würde. Viele Programmierer würden da gern einen Beitrag leisen – eventuell sogar für die Flüchtlinge sogar umsonst.
– Hostels schneller zahlen: Viele Hostels weigern sich Flüchtlinge aufzunehmen, weil sie erst nach Monaten das Geld vom Senat erhalten. Das können sich selbständig tätige, kleinere Hotelbetreiber einfach finanziell nicht leisten.
Ein elektronisches Wartemanagement einzurichten (wurde meines Wissens nach von Programmieren schon erstellt, aber von den Behörden abgelehnt).
– Zelte öffnen: Die vorhandenen, beheizten Zelte auch nachts für die wartenden Menschen zu öffnen, nicht erst ab 4.00 Morgens. Zumindest für die Frauen, Familien und Kinder. Besser noch für alle. 
 
Ich wünsche mir, dass die erste Erfahrung, die Neuberliner mit unserer Stadt machen, eine von Effizienz und Herzlichkeit ist. Das wäre wunderschön für die Menschen und für unsere Stadt.
Wie ihr helfen könnt
– Schreibt an den Senat die Politiker eures Bezirks. Ihr dürft gern meine Schilderung  und Vorschläge verwenden. Schließlich warten da auch die Menschen, für die sie Verantwortung tragen
– Geht  einen Abend pro Woche zum LaGeSo allein oder mit eurer Jugendgruppe oder Gemeinde oder ein paar Freunden abends hin, mit Tee, Keksen, warmer Kleidung und Decken und ermutigt und unterstützt die wartenden Menschen.
Unterkünfte: Wenn ihr Leute oder Gemeinden kennt, die in relativer  Nähe des Lageso (Turmstrasse, Berlin Moabit) wohnen: Bittet Sie, von 20.00 – 24.00 einen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen. Viele Flüchtlinge schaffen es nicht, von der Turmstrasse nach Spandau, Rudow, Lichtenberg usw. zu fahren, weil sie sich ohnehin gleich wieder anstellen müssen. Place4Refugees sind dankbar für jeden, der eine Nacht oder öfter mal ein Quartier bietet. 
– Betet für effizientere Strukturen, Licht, Liebe und Leben auf allen Ebenen des LaGeSo. 
Danke fürs Lesen! Und Mitfühlen!

Ähnliche Beiträge

2 Kommentare

  1. Hallo Mandy, gern werde ich (vorerst für 3 Monate) einen Dauerauftrag von 100.- Euro moantl. auf Dein Konto erstellen. Das ist eine Spende für die Flüchtlinge. Der Winter kommt und die Menschen leiden. Ich danke Dir sehr, dass Du so ein großer Segen vorort bist. Herzich-liebe Grüße,
    Cornelia Stadelmann aus der Schweiz

Die Kommentare sind geschlossen.