Viktor Herzl, der große Vater des Zionismus und engagierter Kämpfer dafür, dass es einen eigenen Staat für die Juden geben sollte, hat – nach dem Zionistenkongress in Basel 1897 in sein Tagebuch geschrieben: “„Fasse ich den Baseler Congress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten: Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen.”
Es sollte tatsächlich noch gut 50 Jahre dauern, bis am 14. Mai 1948 tatsächlich Israel gegründet wurde. Was mich fasziniert ist seine visionäre Wertschätzung der kleinen Anfänge.
Kürzlich sprach ich mit einer Freundin über eine Verhalten an mir, das ich gerne ändern möchte. Nichts “Schlimmes”, sondern eher eine fast automatische Reaktion auf bestimmte Umstände. Jedes “automatische” Verhalten nimmt Freiräume, auch anders zu empfinden, zu reagieren, sich zu verhalten. Wir sprachen intensiv darüber, versuchten zu verstehen und dem auf die Spur zu kommen, was das automatische Verhalten auslöst. Richtig gelöst haben wir es noch nicht.
Dann hat die Freundin mir etwas erzählt, was mir viel Mut gemacht hat. Sie erinnerte mich an ein Gespräch vor vielen Jahren, in dem sie mir von einem automatischen Verhalten erzählte, in dem sie selbst verhaftet war. Ich habe damals wohl einen Satz gesagt, der ihr plötzlich bewusst machte: “Es geht auch anders. Ich muss in dem Verhalten nicht weiter verhaftet bleiben.” Sich von den bisherigen Denkmustern und dem eingeübten Verhalten lösen und andere Optionen zu entdecken und zu leben, war ein lager Prozess. Ein lohnender. Einer, der sie in viel mehr Souveränität, Freiheit und Lebensfreude geführt hat.
Sie sagte, mit meinem Satz hätte damals angefangen. Ich glaube, es hat schon früher begonnen – mit ihrer Bereitschaft sich offen zu zeigen und zu sagen: Hier hängt und knirscht etwas. Damit komme ich – allein – nicht klar.
Mich hat das sehr berührt. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis ich das automatische Verhalten geändert und gelöst habe. Doch ich bin sicher, dass mit dem Gespräch etwas Neues begonnen hat. Und dass ich eines Tages darauf zurück schauen werde und sagen kann: Da hat alles begonnen. Und ich bin neu dankbar dafür, dass es Menschen gibt, denen ich auch Schwachpunkte offen zeigen kann: Hier ist etwas, damit komme ich nicht klar. Die nicht verurteilen, sondern erst mal ruhig anerkennen: So ist es gerade. Und sich dann mit mir auf die Suche nach Ursachen und Lösungen machen. Was für ein Geschenk!
Kleiner Buchtipp am Rande: Oft ist es falsche Scham, die uns davon abhält, anderen zu sagen oder zu zeigen, wo wir innerlich festhängen. Das Quadro “Mich zeigen. Leben ohne falsche Scham” gibt richtig gute Hilfen dafür, die falsche Scham loszuwerden.