Wie wir Entscheidungen leichter treffen können
Nicht getroffene Entscheidungen sind Ballast für die Seele.
Kerstin Hack
Ich verdiene mein Geld mit Entscheidungen. Genauer gesagt: Mit den Entscheidungen, die anderen schwerfallen. Das ist – neben Blockaden und Traumata, bei deren Lösung ich als Coach mithelfen darf -, die wohl häufigste Fragestellung, mit der Menschen zu mir als Coach kommen: Mache ich mit meinem Café weiter, obwohl es sich nicht rechnet? Was mache ich nach der Erziehungsphase? Soll ich meine Freundin heiraten, obwohl sie nicht meine absolute Traumfrau ist?
Solche Entscheidungen können extrem herausfordern, ermüden, zu Paar- und Familienkonflikten führen. Das hat einfach erst einmal damit zu tun, dass Entscheidungen grundsätzlich anstrengend sind. Bei jedem Entscheidungsvorgang muss das Gehirn überlegen: Welche Optionen habe ich? Was sind die Kriterien? Was ist angesichts der Kriterien die beste Wahl? Während einer Entscheidung läuft das Gehirn auf Hochtouren. Man kann sich das vorstellen wie einen Computer, der Unmengen von Daten sortieren muss. Wenn es zu viel wird – das ist schon bei etwa 15 Entscheidungen der Fall – will man irgendwann einfach nicht mehr, man wird entscheidungsmüde.
Das ist auch der Grund, warum Ablage und Aufräumen oder manchmal auch nur die Frage, was man anziehen will für viele Menschen anstrengend ist. Man muss laufend entscheiden – und das verbraucht viel Energie.
Entscheidungen reduzieren
Manche Menschen machen sich das Leben leichter, indem sie die Anzahl der zu treffenden Entscheidungen reduzieren. Steve Jobs trug stets das gleiche Outfit – schwarzer Rollkragenpullover und Jeans. Er begründete die drastische Reduktion damit, dass er jeden Tag unzählige Entscheidungen treffen müsse und so jedenfalls eine Entscheidung spare.
Andere Menschen tun es ihm nach. Im Trend sind Capsule Wardrobes, welche die Garderobe auf relativ wenige, aufeinander abgestimmte Kleidungsstücke reduzieren. Meistens 30 bis 40 Teile. Das ist noch weit mehr als die zwei Teile von Steve Jobs oder die zwei Kleider, die meine Oma in ihrer Jugend hatte: eines für den Alltag, eines für den Sonntag. Aber eine ganze Reihe weniger als die 95 Teile, die der Durchschittsdeutsche im Schrank hängen hat und zwischen denen er sich entscheiden muss.
Die meisten Menschen haben im Leben einige Grund-Entscheidungen getroffen, die ihnen andere Entscheidungen abnahmen. Sie heirateten einen Menschen, putzen sich jeden Abend die Zähne, geben vielleicht einen Teil ihres Einkommens ab, kaufen eher Bio und regional und lassen sonntags den Computer aus.
Jede stabil getroffene Entscheidung erspart uns andere. Dazu gehören auch Routinen.
Lebensregeln und Routinen
Alte Mönche wussten, dass es das Zusammenleben erleichtert, wenn gewisse Regeln feststehen und man nicht täglich neu entscheiden muss, was zu tun ist. Benedikt etwa hat eine Ordensregel verfasst, die Vorbild für viele andere Menschen geworden ist. Darin werden Gebetszeiten, Arbeitsablauf oder praktische Fragen geregelt – etwa, wie man damit umgeht, wenn eine Aufgabe überfordert.
Man muss kein Heiliger oder Mönch sein, um sich Lebensregeln zu geben. Auch im Leben ganz normaler Menschen können Lebensregeln entlastend sein. Kein Korsett, das einen einengt, sondern eher eine Art Gitter, an dem man sich orientieren und Halt finden kann. Neben der Ruhe, die gute Regeln ins Leben bringen, ist es vor allem die Abnahme von Entscheidungen, die das Leben leichter machen.
- Wer sich einmal entschieden hat, 10 % seines Einkommens zu spenden, braucht nicht dauernd neu zu überlegen.
- Wer bestimmte Aufgaben auf bestimmte Wochentage legt, braucht nicht mehr über Termine nachzudenken. In meinem Haushalt fällt nicht sehr viel Wäsche an, deshalb wird nur 1 x pro Woche gewaschen. Immer montags. Dienstags und donnerstags coache ich. Mittwochs mache ich Besorgungen.
- Wer klare Grundregeln entwickelt hat, wie er seinen Körper, seine Seele oder seine Beziehungen pflegen will, braucht sie „nur noch“ umzusetzen.
Regeln müssen nicht für immer feststehen. Sie können für eine Weile gelten und viel Entscheidungslast abnehmen. Und wenn sie nicht mehr passend scheinen, können sie geändert werden.
Tipp: Beschäftige dich mal mit dem Swing-Konzept. Das Buch oder das Lebenstraining LEO, das darauf aufbaut kann dir helfen, dein ganzes Leben in Balace zu bringen.
Entscheidungskriterien gewichten
Trotz einer Reihe von Grundsatzentscheidungen werden immer noch genug Einzel-Entscheidungen übrigbleiben: Urlaub in Bali oder Bochum? Weit entfernter Waldkindergarten oder Kita Sonnenschein um die Ecke? Karriere, Kinder oder beides?
Hier erlebe ich, dass Menschen versuchen, im Kopf eine Vielzahl von Kriterien abzuwägen: Der Waldkindergarten ist gesünder, aber die Kita ist um die Ecke. Melanies Freundin Mara geht auch in den Waldkindergarten, aber die Vorschulvorbereitung in Kita Sonnenschein ist besser. Wenn sie in den Waldkindergarten geht, muss einer von uns sie immer hinbringen, aber die Kita Sonnenschein ist teurer. Schnell verheddern wir uns in Kriterien und Argumenten. Hilfreich ist es da, erst einmal alle Faktoren zu notieren, die einem wichtig sind – hier etwa: Guter Preis, Gesundheitsstärkung, bestehende Kontakte, gute Schulvorbereitung, Nähe zur Wohnung, von Eltern unabhängiger Kita-Weg. Jetzt macht man Spalten und vergibt Punkte oder Pluszeichen. Ist ein Faktor besonders wichtig, bekommt er doppelte oder dreifache Punktzahl. Am Ende sieht man klarer, wo die Plus- und Minuspunkte der einzelnen Optionen liegen.
Entscheide dich!
Viele Menschen fürchten, eine falsche Entscheidung zu treffen – und entscheiden dann oft lieber gar nicht. Aber: Nicht getroffene Entscheidungen sind Ballast für die Seele. Manchmal auch für die Umgebung, wenn man all die Dinge ertragen muss, für die man noch nicht den richtigen Platz gefunden hat. Was will ich behalten, was kommt weg? Wohin soll dieser, wohin jener Gegenstand? Mich nerven zum Beispiel gerade die etwa 50 Dateien, die auf der Desktop-Oberfläche meines Computers herumliegen, weil ich noch nicht entschieden habe, wohin ich sie sortieren will. Sie erschweren mir die Übersicht und machen mir ein schlechtes Gewissen.
Nicht getroffene Entscheidungen lähmen. So ging es einer Frau, die ein Café aufgebaut hatte – eigentlich ihr Traum. Doch die Realität war nicht so traumhaft. Die damit verbundenen Hoffnungen erfüllten sich weder inhaltlich noch wirtschaftlich. Das Ganze wurde zur Last. Als es ihr nach einem Coaching-Prozess gelang, sich für ein Ende zu entscheiden, war das ein Befreiungsschlag, der ungeahnte Ressourcen freisetzte. Längst hat sie neue Abenteuer gestartet, die sie aufblühen ließen.
Wer nicht entscheidet, bleibt in einem Zwischenland stecken. Er ist handlungsunfähig. Natürlich ist es wichtig, Entscheidungen gut abzuwägen und alle Faktoren zu bedenken. Doch wenn keine neuen Informationen dazukommen und man „nur noch“ entscheiden muss, aber keine Klarheit hat, ist es besser, eine – möglicherweise – falsche Entscheidung zu treffen, als weiter im Zustand der Unentschiedenheit hängen zu bleiben.
So wie eine Frau, die mit ihrer Ehe unzufrieden war. Ein Coach riet ihr: „Treffen Sie eine klare Entscheidung: Ich sage Ja zu diesem Mann mit seinen Fehlern und Schwächen. Oder ich trenne mich von ihm.“ Sie tat weder das eine noch das andere. Sie blieb weiter in dem Zustand der Unzufriedenheit und Unentschlossenheit. Jahrzehntelang. Das hat weder ihrer Ehe noch ihrer Seele gutgetan.
Vergeudete Zeit
Menschen, die sich schneller entscheiden, sind mit ihrer Entscheidung zufriedener als diejenigen, die sich Monate lang abmühen. Das gilt selbst für den Kauf einer Waschmaschine oder eines Autos. Wer sich informiert und zügig entscheidet, ist am Ende zufriedener als der, der alle Faktoren bis ins letzte Detail prüft und auf das absolut Perfekte hofft. Am Ende hat auch der, der langwierig entscheidet, nur ein ähnlich gutes Produkt wie der Schnellentschlossene. Er ist aber weit unzufriedener, weil er bei all der Mühe etwas Besseres erwartet hätte.
Es gibt Dinge, die weiß man nicht und kann sie auch nicht wissen. Entscheiden heißt nicht, dass ich alle Fakten kenne – das geht vor allem dann nicht, wenn es sich um Zukünftiges handelt. Als ich mich entschied, ein altes Schiff zu einem Haus- und Seminarboot umzubauen, wusste ich nicht, ob ich es schaffe. Viele meinten: Das ist unmöglich! Aber sie wussten es genauso wenig wie ich. Ich dachte: „Unmöglich ist auch nur eine Meinung!“ und entschied mich, es zu wagen.
Ich konnte mich nicht entscheiden, dass das Projekt erfolgreich wird – das lag außerhalb meiner Macht. Ich konnte mich aber entscheiden, das Risiko abzuwägen und es zu wagen.
Falsche Entscheidungen kann man meist noch korrigieren. Notfalls hätte ich das halb renovierte Schiff auch wieder verkaufen können. Notfalls startet man etwas neu. Die Zeit und Kraft aber, die man durch das Nicht-Treffen von Entscheidungen verliert, bleibt für immer verloren.
Gott einbeziehen
Als Christen glauben wir, dass Gott uns führt und leitet. Darüber, wie das im Alltag aussieht, haben Menschen aber ganz unterschiedliche Vorstellungen. Während die einen glauben, dass Gott nur bei ganz wichtigen Entscheidungen wie Heirat, Berufswahl und Wohnort mitreden will, erwarten andere Gottes Reden auch bei kleinen Entscheidungen des Alltags. Für mich ist da Psalm 32,8 ein Leitfaden geworden. Luther formuliert es so: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten!“
In der englischen New International Version ist es wie eine Abfolge formuliert: I will instruct you (ich gebe dir klare Anleitung) / and teach you (ich will dich lehren) / and guide you (ich führe und begleite dich) / and lead you with my eyes (und leite dich mit meinen Augen).
Ich kann darin eine Abfolge der Reife erkennen. In Bereichen, in denen wir jung und unerfahren sind, brauchen wir klare Anleitung. Da fällt uns das eigene Entscheiden schwer. Wir brauchen es, dass jemand sagt: Ich zeige es dir. Mach es so! Mit zunehmender Erfahrung brauchen wir weniger Anleitung, aber mehr Verständnis, Begleitung und Miteinander auf Augenhöhe.
Auf dem Willow-Kongress in Dortmund erzählte Tobias Teichen, leitender Pastor des ICF München, dass bei ihnen Mitarbeiter nach einer ähnlichen Abstufung gefördert werden: Ich mache es, du schaust zu. Ich mache es, du assistierst mir. Du machst es, ich assistiere dir. Du machst es, ich schaue zu.
Ich halte es nicht für ein Zeichen geistlicher Reife, in jeder Entscheidung auf Gottes Instruktionen zu hoffen. Ja, wir sind Kinder Gottes. Und in manchen Bereichen unseres Lebens sind wir tatsächlich unerfahren und brauchen Gottes klare Anweisung. In anderen Bereichen aber lernen wir von ihm und seinem Wort Prinzipien, denen wir bei Entscheidungen folgen. Hier kann es dann ein Zeichen unserer Reife sein, dass wir selbst entscheiden und die Sicherheit haben, dass sein liebevoller Blick auf uns ruht.
Extra-Tipp für alle, die sich mit Entschieden schwer tun:
Entscheiden – Impulse für die richtige Wahl. Impulsheft von Marcus Splitt.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeitschrift Joyce. Mit freundlicher Genehmigung
Ich wünsche dir viel Freude und Entscheidungskraft!
Deine Kerstin Hack