Heute war mein erster Arbeitstag nach der Zeit in England. Ich wünsche mir ja, dass ich die Dinge, die ich dort gelernt habe, anwenden und entfalten kann. Also war dieser Tag mein erster richtiger Test der neuen Dinge im Alltag.
Mittags kam eine Frau vorbei, um etwas abzuholen. Ich fragte sie, ob sie etwas hat, wofür sie sich Gebet wünscht. Sie sagte, sie wolle gern ihre Abhängigkeit von Süßigkeiten in den Griff bekommen. Ich betete kurz dafür. Dann musste sie gehen. Ich war traurig. Gern hätte ich mir mehr Zeit genommen, um im Gespräch und Gebet nachzusehen, wie die Verhaltensmuster innerlich verknüpft sind und wie man sie lösen kann. „Nur“ ein kurzes Gebet zu sprechen fand ich fast unbefriedigend.
Mir wurde in der Reflektion deutlich, dass es in vielen christlichen Kreisen als Zeichen besonderer göttlicher Salbung gilt, wenn man kurz betet und dann – wumm – gleich schnell etwas passiert. Natürlich ist es toll, wenn schnell etwas passiert. Und ich wünsche mir auch, gebrochene Beine oder Arme mit einem kurzen, zackigen Gebet heilen zu können. Gleichzeitig war ich auch froh, dass ich beim Gebet für Jayne, die mit Übergewicht, Arthritis etc. zu kämpfen hatte, Zeit nehmen konnte. Das war ein gesunder, solider Prozess, in dem sie viel gelernt hat und gestärkt wurde – und ich auch.
Jesus hat Menschen oft ziemlich schnell geheilt. Manchmal – etwa bei einem Blinden – war es ein Gebet mit mehreren Gebetsschritten. Bei anderen Menschen – etwa der Frau am Brunnen – brachte ein längeres Gespräch tiefe geistliche und emotionale Verändeurng und Heilung. Vermutlich wird es immer beides nebeneinander geben: schnelles, dramatisches Eingreifen Gottes. Längere Prozesse, in denen Gott ebenso kraftvoll wirkt.
Weil es im Verlag einen Abgabetermin gab, den wir einhalten wollten, verbrachte ich den ganzen Nachmittag mit der Durchsicht meines Andachtsbuches Danke, Leben! Es dauerte länger als geplant, so dass aus dem Nachittag in der Sonne mit Offenheit für Gespräch und Gottes Führung nichts wurde. Auch das ist Alltag.
Umso schöner war, dass mich auf dem Weg zum Biomarkt eine Frau ansprach – ich würde so strahlen. Strahlen nach 3 Stunden Manuskriptkorrektur? Hat sie etwas von Jesus in mir gesehen? Ich hoffe es! Eine wirklich schlaue Entgegnung fiel mir nicht ein. Da übe ich noch. Aber gefreut habe ich mich trotzdem.
Ich wollte eigentlich noch Honig einkaufen. Empfand aber, dass Jesus sagt „Nee!“ Kein lautes Reden, eher so eine innere Bremse „Mach´s nicht!“ Ich kenn ihn gut genug, um auf solche Impulse zu hören, dachte er will vielleicht auf meine schlanke Linie achten – wie war das ncoh mal mit den Süssigkeiten. Am Abend kam eine Freundin vorbei und sagte: „Um dir den Einstieg in Berlin zu versüßen!“ Wie schön. Ich hab mich besonders gefreut, weil das Konto gerade durch hohe Konto und Schiffsbaukosten recht angespannt ist. Und ich mich einfach gefreut habe, kein Geld für Honig ausgegeben zu haben, den ich erst mal nicht brauche.
Wir tauschten uns über unsere Erfahrungen und den Wunsch, im Übernatürlichen – wie sie sagt – oder im natürlichen Wirken Gottes, wie ich es mittlerweile nenne zu wachsen. Sie erzählte mir, dass sie im Flugzeug gesessen hat und – um zu üben – Gott um ein Wort der Erkenntnis für ihren Sitznachbarn gebeten hat. Sie hörte „Seine Ehe braucht Stärkung!“ Das kleine Problem: Er trug keinen Ehering. Sie hatte eigentlich keine Lust auf ein Gespräch mit einem Fremden, wollte lieber ihre Ruhe haben.
Als ich darüber nachgedacht habe, spürte ich viel Traurigkeit. Ich dachte: Womöglich hat sie eine Chance zum Lernen verpasst – selbst wenn es „falsch“ gewesen wäre, wäre das eine Möglichkeit gewesen, Gottes Reden klarer unterscheiden zu lernen. Oft redet Gott ja, aber wir können es nicht genau interpretieren. Und dann dachte ich, wie traurig es ist, dass durch die Unsicherheit und ggf. fehlende Empathie vielleicht eine Gelegenheit verpasst wurde, einem anderen Menschen mit der Liebe Gottes zu berühren. Gott hatte mir in England ja gezeigt, dass der Schlüssel, dass wir sein Wirken erleben, Mitempfinden (Compassion) und Glaube ist. Wenn Menschen uns letztlich egal sind, dann werden wir – egal wie viel Glauben wir haben – vermutlich wenig wunderbares Wirken Gottes erleben.
Matthäus 14,22 ist für mich eine der schrecklichsten Bibelstellen, die ich kenne. „Gleich danach (nach der Speisung der 5000) befahl Jesus seinen Jüngern, in ihr Boot zu steigen und an das andere Ufer des Sees vorauszufahren. Er selbst blieb zurück, um die Leute zu verabschieden.“
Schrecklich ist das für mich deshalb, weil ich mir als Referentin lebhaft vorstellen kann, wie das aussah. Wenn ich Vorträge oder Seminare halte, gebe ich in der Regel alles. Alles, was ich an geistlicher, emotionaler und körperlicher Energie habe. Danach ist oft die Luft raus! Wenn dann Menschen kommen und mir persönliche Dinge erzählen möchten oder sich bedanken oder noch mal um Gebet bitten, will ich gern für sie da sein. So gut ich kann. Doch ich kann dann oft kaum mehr.
Jesus hatte an dem Tag stundenlang gepredigt, Abendessen für 5000 Menschen organisiert und vermehrt – und dann schickte er seine Jünger schon mal los. Und er verabschiedete sich von den Leuten. Ein paar Hundert Hände schütteln. Dutzende von Malen hören „Das mit den Broten und Fischen, das war echt cool.“, dann noch ein paar Dutzend Bitten: „Kannst du noch meine Tochter heilen…“ „Bitte segne mein Kind…!“ Er war sicher voller Sehnsucht nach Ruhe und Zeit mit seinem himmlischen, aber blieb zum Verabschieden – aus Liebe zu den Menschen. Bis sie alle endlich weg waren und er auf den Berg steigen konnte, um allein mit seinem Vater zu sein. Dummerweise konnte er von da oben sehen, dass seine Jünger in Seenot gerieten. Also wieder runter vom Berg, über das Wasser gelaufen. Die Jünger gerettet…aus Barmherzigkeit und Mitgefühl.
Klar braucht man auch Pausen. Und Gott will nicht, dass wir uns verausgaben. Dennoch: Wenn wir Gott erleben wollen, ist es unumgänglich, dass wir in unserem Herzen Raum für die Menschen schaffen, die er durch uns berühren will.
Der zweite Gedanke, den ich hatte, war, dass viele der „Heldengeschichten“ von Menschen, die Gott gebraucht so gehen: „Ich hatte ein Wort der Erkenntnis, sagte der unbekannten Person: Du hast dies oder jenes Problem…Sie schrie erstaunt auf: „Ja, das stimmt….“, brach in Tränen aus und übergab ihr Leben Christus!“
Klar kann das auch mal so gehen. Aber warum nicht einfach ein Gespräch anfangen: „Sind sie geschäftlich unterwegs?“ „Haben Sie Familie? Wie ist das für Sie, wenn Sie beruflich so viel von der Familie weg sind?“ „Ah, es ist schwer für Sie? Das überrascht mich nicht. Ich bin gläubig und vorhin, bevor wir losflogen habe ich gebetet und hatte das Empfinden, dass Gott mir sagt, er möchte Ihre Ehe stärken. Darf ich für Sie und ihre Familie beten.“ So geht es doch auch.