Ein bisschen Flüchtling
Die letzten drei Monate habe ich auf dem Fussboden verbracht. Nicht ganz freiwillig. Ich hatte Besuch für Zimmersuche für ein Wochenende. Wenn ich Besuch habe, bekommt der normalerweise mein Schlafzimmer, ich schlafe auf ´ner Matratze am Fussboden. Kein Problem.
Doch als das mit der Wohnung nicht so geklappt hat, war klar, der Besuch kann noch länger bleiben. Und dann kam noch mal Besuch und noch mal. Gestern habe ich zum ersten Mal seit Ende August in meinem eigenen Bett geschlafen, Es tat soooo gut.
Nach einigen Wochen als „Binnenflüchtling“ habe ich gemerkt, wie sehr die Situation an meinen Nerven zerrt .Kein Rückzugsraum mehr in meiner Wohnung. Im minikleinen Büro liegt die Arbeit, durchs Wohnzimmer laufen dauernd Menschen, das Schlafzimmer ist besetzt, die Küche zu klein für einen Tisch. Und ohne Verdunkelung zu schlafen fällt mir schwer. Und lauter war es in meinem Matratzenlager obendrein und wenn ich das Fenster geöffnet habe, zog es stark. Blieb es geschlossen, reichte die Luft nicht. Alles nicht sonderlich dramatisch. Aber gepaart mit einer guten Menge Arbeit und ein paar weiteren Herausforderungen (Schiff, Finanzen, Vorträge) hat mich das viel Kraft gekostet.
Und es hat mir viel Mitgefühl gegeben. Mit den Menschen, die jetzt hier – nach monatelangem Laufen – hier ankommen und noch keine Ruhe und kein Zuhause finden. Und es hat mich bestärkt in dem Unterfangen, das zu tun, was ich kann, um die Not der Menschen zu lindern. Ich kann gut kommunizieren und organisieren.
Mit meinem Team habe ich das Quadro „Willkommenskultur. Flüchtlinge kennenlernen und unterstützen“ publiziert. Es sollte eigentlich erst im Frühjahr herauskommen, Aber angesichts der aktuellen Situation haben wir Vollgas gegeben und es jetzt herausgebracht. Das Quattro erklärt die Hintergründe von Flucht, gibt Einblick in Fluchtschicksale, erklärt, wie man kulturelle Kompetenz erwirbt und zeigt, wo und wie man sich einbringen kann.
Ich bin überzeugt davon, dass viele Menschen bereit sind, etwas beizutragen, wenn man ihnen nur sagt, wie. 19% der Deutschen sagen, sie würden gern für Flüchtlinge spende, aber wissen nicht wohin! Meine Empfehlung: Diakonie, Caritas oder eines der kreativen Projekte, die per Crowdfunding finanziert werden. Mein aktueller Favorit: Die Kiron Universität, die Flüchtlingen für nur 400 Euro pro Jahr (!!)) ein vollständiges Studium ermöglicht. Mein Wunsch wäre es, dass 10000 Flüchtlinge hier ein Studium machen können und dann entweder hier qualifizierte Stellen finden oder in ihrer Heimat beim Wiederaufbau helfen können.
Bei praktischer Hilfe ist es genauso. Eine ältere Dame erzählte mir, sie hätte nur ein paar Pflegeartikel bei der Caritas vorbeibringen wollen. Dann hat die Mitarbeiterin sie gefragt, ob sie sich nicht um einen Flüchtling kümmern wolle. Sie meinte: „Lieber eine Familie!“ Die Mitarbeiterin: „Morgen kommt eine ganz nette Familie an!“ So wurden sie und ihr Mann Paten einer sechsköpfigen syrischen Familie. Sie zeigen ihnen den Ort, vermitteln erste Sprachkenntnisse. Wenn Hände und Füsse zur Kommunikation nicht reichen, dann wird ein Freund der Familie per WhatsApp kontaktiert, der schon seit 6 Monaten hier ist. Der übersetzt dann gern.
So wie den Rentnerehepaar geht es glaube ich vielen: Die würden mit anpacken, aber wissen noch gar nicht so recht wo. Sie brauchen jemanden, der sagt: „Hier ist ne Möglichkeit (egal ob Kleidersortieren oder Deutsch unterrichten oder Begleitung bei Behördengängen oder oder). Mach doch mit.“Ich erlebe hier in Berlin einen große Bereitschaft bei Migranten und auch bei Flüchtlingen, die selbst erst seit ein paar Monaten hier sind, sich einzubringen. Ich arbeite in einer Erstunterkunft mit, die fast ausschließlich von Ehrenamtlichen verantwortet wird – und sehe, wie Deutsch, Iraner, Araber, Amerikaner usw. Zusammenleben, um den Menschen die Ankunft zu erleichtern, Ich sehe in der ganzen Situation auch eine Chance, dass Fehler, die in den vergangenen Jahrzehnten bei der Integration von Ausländern gemacht wurden, durch die gemeinsame neue Aufgabe abgemildert, vielleicht sogar zum Teil geheilt werden können.
Auch viele der Flüchtlinge wollen sich einbringen. Einer meiner Freunde hat mir gesagt, er würde gern die Inhalte meines LEA Kursees ins Arabische übersetzen, um andere Flüchtlinge zu stärken. Ein junger Mann aus Tunesien hilft mir gerade mein völlig verrostetes Französisch zu reaktivieren, verbessert meine SMS und erklärt mir Sachen, damit ich für die Hochzeit meines Bruders bei Lyon halbwegs fit in der Sprache bin. Viele Flüchtlinge sehnen sich danach, sich irgendwo einzubringen.
Ich bin müde – von den 2 Monaten auf der Matratze und der vielen Arbeit, die das neue Quadro, der Blog und all die Dinge drumherum mit sich bringen. Und unendlich dankbar. Wo andere nur die Schwierigkeiten sehen, sehe ich die Schwierigkeiten – und die unendlich vielen Möglichkeiten, Kreativität zu entwickeln und Liebe zu zeigen. Und wie viel problemlos über Internet zu organisieren ist.
Gerade bin ich auf dem Weg zum Bioladen bei drei Läden vorbei: Einem Orthopädie-Geschäft, da hab um Thrombose-Strümpfe für „meine“ Flüchtlingsunterkunft gebeten, dann bei der Apotheke, die mir ein Medikamentenpaket zusammenstellen wird und schließlich beim Optiker, der mir drei Tüten mit Brillen für die Flüchtlinge mitgab (das stand alles als Bedarf auf der Liste, die im Internet veröffentlicht wird.). Die Geschäftsleute haben mir gedankt, dass sie helfen dürfen!
Das Schönste bleiben immer noch die Begegnungen mit den Menschen. Am Wochenende war ich mit einer Gruppe von Flüchtlingen bei einem Klassikkonzert. Unter anderem wurde eine Messe gesungen. Dem Mann, der neben mir sass erklärte ich, dass das gesungene Texte aus der Bibel sind und übersetzte ich die Worte ins Englische. Er war tief berührt. Und sagte etwa zwanzig Mal zu mir „Das sind so gute Worte“ „Sie berührten mein Herz!“
Wenn ich daran denke, bin ich selbst berührt und bereichert. Ich sehe die Schätze, die ich habe, mit ganz neuen Augen, weil ich sie gerade durch die Augen eines Menschen gesehen habe, der diese Worte zum ersten Mal hörte.
Wie wunderschön, in dieser Zeit zu leben.
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Noch eine Bitte: Auf den sozialen Netzwerken lese ich ständig Kommentare darüber, warum alles so schwierig und katastrophal ist. Und was die Politik alles falsch macht usw. Ich bin müde davon. Bitte spart euch diese Kommentare hier. Aber schreib mir gern, was du tust oder tun möchtest, um ein Teil der Antwort zu sein