Hier fehlt ein Stempel!« – »Puls unter 28«: Diese beiden beunruhigenden Aussagen hallten in meinen Ohren wider, schlugen wie Hämmer gegen meinen Schädel, ließenmein Herz stocken. »Auf Ihrer Transportgenehmigung fehlt ein Stempel. Sie dürfen mit Ihrem Schiff nicht weiterfah- ren!« – »Kerstin, dein Vater ist mit einem Blutdruck von un- ter 28 ins Krankenhaus gekommen.«Ich hatte gedacht, das Schlimmste läge bereits hinter mir. Es war schwierig genug gewesen, das Schiff für die Reise vonHamburg nach Berlin transportfertig zubekommen….
Damit wir starten konnten, musste mein Schiff mit genug Ballast gefüllt werden, es sollte so tief im Wasser liegen, dass alle Brücken unterquert werden konnten. Einen Tag vor der geplanten Abfahrt stellten wir fest, dass uns zehn Zentimeter fehlten. Zehn Zentimeter sind viel, wenn es gilt, ein 25 Meter langes und 25 Tonnen schweres Schiff genauso weit abzusenken. Doch es gelang.Jetzt musste noch ein 400 Kilogramm schweres Ruder umgelegt werden, ohne das Schiff oder Menschen zu schädigen – dann endlich begann der schöne Teil der Reise.
Und es kam schlimmer
»Jetzt kann nichts mehr schiefgehen«, dachte ich, »in zwei Tagen sind wir in Berlin.«
Doch das war ein Irrtum. Ich hatte nicht mit der deutschen Bürokratie gerechnet. Die holte uns um 15.55 Uhr an der Schleuse bei Brandenburg an der Havel ein.
»Hier fehlt ein Stempel!«, sagte ein Wasserschutzpolizist und zeigte mit kritischem Blick auf die betreffende Stelle. »Stempel und Unter- schrift«, stand da. Der Beamte, der das Dokument ausgestellt hatte, hatte es nur unterschrieben. »Ohne Stempel ist das Dokument ungültig«, stellte der Polizist fest, »Sie dürfen nicht weiterfahren!«
Wir wiesen mit Engelszungen darauf hin, dass es doch das richtige Formular sei, von der richtigen Behörde gefaxt und auch von einem der Mitarbeiter dort unterschrie- ben. Doch ein fehlender Stempel in Deutschland ist schwer- wiegend. Das wollte der Polizist nicht allein entscheiden. Er wandte sich telefonisch an die nächste Instanz.
Der Anruf beim Vorgesetzten um 16.02 Uhr blieb erfolglos. »Wir haben um 16 Uhr Dienstschluss. Morgen ab 9 Uhr ist wieder geöffnet, dann werden wir klären, ob Sie weiterfahren dürfen.« – »Morgen um 9.00? Wir wollten heute noch sieben Stunden fahren, um möglichst nah an Berlin ranzukommen!« – »Tut mir leid, ich habe jetzt Feierabend! Bis morgen!«Die Jungs vom Begleitboot maulten, denn sie würden einen Tag länger von ihren Freundinnen getrennt sein. Gerade für den frisch verliebten jüngeren der beiden war das sichtlich schmerzhaft. Außerdem kann kaum etwas einen Seemann so erschüttern, wie nichts tun zu können.Wir saßen fest und waren machtlos gegen kleinkarierte Bü- rokratie. Es war doch nicht unser Fehler, dass der Beamte vergessen hatte, die Genehmigung abzustempeln, bevor er sie gefaxt hatte.
Gesetz ist Gesetz: Ohne Stempel galt der Transport als illegal – später sollte mich als Auftraggeberin diese »Straftat« 875 Euro kosten. Ich sage gerne: »Ein Aben- teuer ist eine Krise, die man sich selbst ausgesucht hat.« Aber sogar für meinen Geschmack war das nun zu viel Krise.
»Ob die uns überhaupt weiterfahren lassen? Was machen wir, wenn die uns hier festhalten?« – »Es wird einen Weg ge- ben«, versuchte mich meine Freundin Rosemarie Stresemann aufzumuntern. Sie hatte leicht reden. Die Verantwortung trug ich.
Die Katastrophennachricht
Mitten in die Anspannung hinein rief mich meine Mutter an: »Dein Vater ist ins Krankenhaus eingewiesen worden. Sein Blutdruck war unter 28.« Ich wusste gerade genug von Medizin, dass ein Puls eher bei 80 liegen sollte als bei 28. Dass man mit einem derart niedrigen Blutdruck jederzeit umkippen kann, war mir klar.
So weit der Auszug aus Leinen los. Wie ich mitten in Berlin ein Hausboot baute, um meinen Traum zu leben.
Wie es nach dieser heftigen Nacht weiterging und wie nach 1001 anderen Krisen der Traum vom Haus- und Seminarschiff wahr wurde erzähle ich am Samstag, den 11. 4. bei einer Lesung an Bord.
Und ich zeige dir das Schiff.
So kannst du dabei sein:
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3. Du bist live bei der Lesung und Führung durch das Schiff dabei oder kannst dir die Aufzeichnung ansehen.
SEHEN WIR UNS?