Vorneweg: Sich verantwortlich fühlen ist kein Gefühl. Das mag den einen oder anderen erstaunen, denn dieses “verantwortlich fühlen” fühlt sich doch tatsächlich wie ein Gefühl au. Doch wenn man es etwas genauer unter die Lupe nimmt, stellt man fest, dass dieses Gefühl aus zwei Teilen besteht:
- – dem Gedanken “Ich denke, ich bin verantworlich”
- – einem Gefühl – etwa Druck, Angst, Stress, Überforderung, Traurigkeit.
Ich bin kein Mensch, der üblicherweise Haarspalterei betreibt, aber in dem Fall ist es mir wichtig. Weil diese Unterscheidung das Tor zur Freiheit öffnen kann. Wenn man realisiert: “Ich denke, ich bin verantwortlich.” kann man das kritisch überprüfen:
- Bin ich tatsächlich verantwortlich?
- In welchem Maß bin ich verantwortlich?
- Will ich verantwortlich sein?
- Wer trägt noch Verantwortung?
Allein das kann entlasten. Es gibt Situationen, in denen man tatsächlich verantwortlich ist. Eltern etwa sind z. B. verantwortlich für ihre Kinder – wenn sie klein sind, mehr, je größer sie werden, desto weniger.
Was aber ist nun mit den Gefühlen, die man fühlt?
In den allermeisten Fällen ist das “Gefühl” der Verantwortung nichts anderes als Empathie und Resonanz – verbunden mit Traurigkeit. Man spürt, dass es dem anderen nicht gut geht. Man fühlt mit. Und man hat parallel dazu eigene Gefühle: Traurigkeit, Hilflosigkeit, Druck oder ähnliches (je nach Situation und Gedankenmustern.). Dieses Gedanken-Gefühls-Konglomerat und Kuddelmuddel nennt man dann “Ich fühle mich verantwortlich.”
Was kann man tun?
Ich gehe davon aus, dass erwachsene Menschen in erster Linie selbst für ihr Leben Verantwortung tragen. Ich kann und muss für niemanden, der erwachsen ist, Verantwortung tragen. Das ist seine Verantwortung. Verantwortung kann ich höchstens in Teilbereichen übernehmen – im Coaching habe ich eine Stunde lang die Verantwortung dafür, einen guten Prozess zu gestalten. Als Verlegerin habe ich die Verantwortung dafür, meine Mitarbeiter gut anzuleiten usw.
Ab und zu passiert es trotzdem, dass ich mich “verantwortlich fühle”. Ein guter Freund ist gestresst – und ich spüre das und denke, ich muss ihm jetzt helfen. Einer Freundin geht es nicht gut – ich rutsche in Verantwortungsgefühle. Wenn ich mich dabei erwische, dann habe ich bisher innerlich immer bewusst zwei Dinge getan:
- Überlegt ob und in welcher Form ich die Person unterstützen möchte und ihr das gegebenenfalls kommuniziert.
- Innerlich gesagt: “Ich gebe die Verantwortung für dein Leben in deine Hände zurück.”
Meine Freundin Rosemarie hat noch einen dritten Schritt vorgeschlagen, den ich wunderschön finde:
- “Ich segne dich, dass du die Verantwortung gut tragen kannst”.
Mir gefällt dieser dritte Schritt ungemein gut – ich kann und darf segnen – und so dem anderen in seiner Fähigkeit, sein Leben zu meistern, stärken und unterstützen. Das finde ich entlastend und beglückend.
Auf dem Foto zu sehen sind übrigens Lastkähne von oben…es ist gut, wenn jeder Kahn nur seine eigene Last trägt, sonst säuft er ab.
Morgen besuchen mein Verlobter und ich einen Juwelier in Hamburg, der NUR faires Gold (recycled oder per Hand gewonnenes Waschgold) in der eigenen Werkstatt verarbeitet, um dort über unsere Eheringe zu sprechen.
Ich war (und bin) entsetzt, als ich Kolleginnen und Angehörigen fröhlich von dem Beratungstermin erzählte und aus allen Richtungen nur hört: “Faires Gold? Wie, was soll denn an Gold fair oder unfair sein?”
Wenn ich in einer beliebigen Suchmaschine “Gold, Kinderarbeit” eingebe, rattern die Links nur so runter. Wie kann es sein, dass sich offensichtlich bis genau heute praktisch niemand, den ich kenne, darüber Gedanken macht (und, ja, damit meine ich auch eine ganze Reihe christlicher Personen in sozialen Berufen)?
Dass das Stichwort “Verantwortung” sowohl mit alltäglichem Konsum als auch mit größeren Anschaffungen zu tun hat, ist leider vielen nicht bewusst.
Insofern möchte ich dem Artikel gerne hinzufügen, dass ich mir an vielen Stellen mehr Sensibilität gegenüber der eigenen verantwortung, was den Kaufimpuls angeht, wünsche.
Viele Grüße, Marie