Es war ein bisschen verrückt. Aber gelegentlich “muss” man verrückte Dinge tun. Etwa mit der besten Freundin nach London fliegen, um die Ausstellung “Revolution” anzusehen. Meine Freundin bereitet eine Konferenz zur Aufarbeitung der 68er Bewegung vor. Und die Ausstellung gab einen sehr guten weltumfassenden Einblick in all die Ströme und einzelnen Veränderungen, die zu der großen Revolution führten: Die Pille genauso wie politische Skandale, Ideologien, Mode, Musik, Drogen, Kriege (Vietnam), Bürgerrechtsbewegungen usw.
Und ich hab den “Bildungsausflug” es sogar noch mit einem Besuch bei meinem Patenkind im Norden Englands verbinden können.
Durch ein Quartier bei einer Freundin und Billigflüge war das ganze auch erschwinglich (London hat es sonst ja finanziell in sich). Dachte ich.
Bis zu dem Moment als mir bei der Passkontrolle mein Personalausweis abgenommen wurde. Der war mir 2015 gestohlen worden. Ich hab das – ebenso wie den freudigen Zurückerhalt – der Polizei gemeldet. Alles in Ordnung, dachte ich. Leider – das erfuhr ich erst später – gibt es bei den Computern von Interpol keine Möglichkeit, ein einmal verloren gemeldetes Dokument wieder als “ok” zu markieren. Einmal verloren bleibt immer verloren.
Obwohl ich auf dem Perso klar zu erkennen bin, Führerschein und weitere Dokumente zum Beweis meiner Identität dabei hatte und sogar noch die Email im Laptop hatte, mit der ich den Rückerhalt des Personalausweises an die Polizei gemeldet hatte. nahm mir die britische Grenzkontrolle meinen Personalausweis ab. Und gab mir eine Kopie und ein Schreiben mit. Sie meinte, damit müsste ich wieder ausreisen können.
Am Flughafen in Liverpool stellte ich dann fest: Das war ein Irrtum. Die Billig-Fluggesellschaften wollen kein Risiko eingehen (Sie müssen Strafe zahlen, wenn sie jemanden illegal in ein Land bringen). Also verweigerte man mir die Abreise (natürlich ohne jede finanzielle Entschädigung), schickte mich zum Konsulat, das aber nur einen Tag pro Woche geöffnet ist. Nicht an dem, an dem ich da war.
Der Konsul war aber telefonisch erreichbar und teilte mir mit, ich müsste nach London zur Botschaft. Die natürlich nur bis 14.00 geöffnet hat. Es war klar: Das ist an diesem Tag nicht zu schaffen.
Ich war gestresst, frustriert, konnte meine Freunde in London nicht erreichen… fand alles ziemlich anstrengend.
Der ganze Spass kostete mich mit Zugtickets (88 Pfund), Pass, der nur 1 Tag gültig ist (25 Pfund) und neuem Flugticket (140 Pfund) plus Essen und Trinken (15 Pfund) so an die 300 Euro. Plus die Kosten für einen neuen Personalausweis. Kein Vergnügen.
Es ist total eklig, wenn so was passiert. Man fühlt sich hilflos, ausgeliefert gegenüber Machthabern, Behörden, Fluggesellschaften, die nach – teilweise absurden – Vorgaben operieren, wenig Flexibilität zeigen. Ich hasse es, mich ausgeliefert und hilflos zu fühlen. Diese Gefühlsmischung ist neben tiefer Enttäuschung einer der furchtbarsten Gefühle, die ich kenne.
Eine der besten Gegenmassnahmen gegen das Gefühl der Hilflosigkeit:
Die Möglichkeiten zur Gestaltung nutzen, die noch verbleiben.
Klar, man kann manches leider nicht ändern und fühlt sich zu Recht hilflos und ausgeliefert. Aber in der Situation kann man – im Rahmen der Möglichkeiten – noch gut für sich sorgen. Das habe ich so gut ich konnte, gemacht:
- Das deutsche Konsulat in Liverpool, das neben einer Zahnarztpraxis ist, war ja geschlossen. Ich hab die Sprechstundenhilfe gebeten, ihr Telefon zu nutzen, um Konsulat und Botschaft anzurufen. Und ihr am Ende einen meiner Kalender als Dankeschön geschenkt.
- Da ich schon in Liverpool war und ohnehin erst am nächsten Tag in die deutsche Botschaft nach London konnte, entschied ich mich, die Stadt zwei Stunden zu erkunden… und landete “zufällig” bei The Cavern, dem Club, in dem die Karriere der Beatles begann. Dort lief gerade ein Live-Konzert mit richtig guter Musik, Das war sooo wohltuend.
- Auf dem Weg zur deutschen Botschaft, kam ich an Eaton Square vorbei, den ich aus einer Fernsehserie meiner Kindheit kenne. Und genoss das Schlendern durch die historische Gegend.
- In der Botschaft hab ich mit zwei Babies geflirtet. Mit Kindern zu spassen und zu spielen tut meiner Seele immer gut.
- Da auch noch ein Streik auf der Zuglinie nach Gatwick, von wo die meisten Billigflieger abfliegen, war, entschied ich mich, mir die 20 Pfund fürs Zugticket zu sparen und mir dafür (plus noch etwas mehr) lieber ein etwas teureres Flugticket vom City Flughafen zu gönnen. Ich habe es so genossen, zwei Sitzplätze für mich zu haben…
All das hat meiner Seele richtig gut getan, etwas von dem Stress abgemildert, den die Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten der Menschen und Systeme ausgelöst haben. Ich bin ein bisschen stolz auf mich, dass mir das gelungen ist. Ich werde noch ein bisschen weitermachen, die Techniken aus Blockaden lösen anwenden, um Stress weiter abzubauen. Und gestalten und Momente genießen. So gut ich kann. Weil es gut tut.