In den letzten Tagen habe ich es mehrfach (!) erlebt, dass Menschen, die mir zugesagt hatten, mehrere Tage bei der Renovierung meines Schiffes zu helfen, kurzfristig abgesagt haben. Natürlich gab es gute Gründe. Ich habe – bei der dritten Absage – trotzdem geweint vor Frust und Enttäuschung. Ich hatte mich so auf die Hilfe gefreut! Und ich war gründlich irritiert. Mir ist Zuverlässigkeit sehr wichtig und ich kann nicht wirklich nachvollziehen, wie man einen Termin, den man eine Woche zuvor geplant und zugesagt, am Morgen noch bestätigt hat, am Mittag einfach absagen kann. Das kann ich kaum verstehen und begreifen.
Wie kann man mit Enttäuschungen umgehen?
Strategien bei Enttäuschung, die ich für wenig hilfreich halte
- Wegwischen und Kleinreden: Einfach tun, als würde es einem nichts ausmachen: „Ist ja egal. Kann ich schon verstehen.“ Bei kleinen Irritationen ist das ok. Man muss nicht jede Kleinigkeit bearbeiten, ausdiskutieren. Das belastet oft mehr als es hilft. Doch bei Verhaltensweisen des anderen, die mich tief treffen und enttäuschen und verärgen: Da wäre „Schwamm drüber“ für mich nicht stimmig und nicht ehrlich. Nein, es ist mir nicht egal. Und ich kann es nicht wirklich verstehen. Außerdem macht alles schlucken auf Dauer krank. Diese Option fällt für mich also weg.
- Verurteilen: Man urteilt den anderen als ganzen Menschen ab. Und kommt für dich zu dem Ergebnis: „Menschen, die so geizig sind, so Hilfeleistung unterlassen, sich so in den Mittelpunkt stellen, sich so oder so verhalten, sind sowieso der letzte Dreck.“ Oder „Die brauchen sich gar nicht Christen nennen!“
Wenn ich so etwas höre, tut mir das im Herze weh. Da wird jemand verbal aus der Familie der Menschen oder der Glaubenden ausgeschlossen, weil er in einem Bereich nicht gehandelt hat, wie erwartet. Menschen sind immer ein Gemisch. Da ist eine Frau – wunderbar sensibel für Menschen und Kommunikation – und manchmal hoffnungslos, was ihr eigenes Leben anbelangt. Da ist ein Mann voller Glauben, der leidenschaftlich für andere betet, aber ist taub auf beiden Ohren wenn sie praktische Hilfe brauchen. Da investiert jemand viel Zeit und Kraft in das Leben anderer und ist gleichzeitig unzuverlässig, was Termine und Zusagen anbelangt.
Sicher ist es eine Möglichkeit der eigenen inneren Entlastung, den Menschen, die einen enttäuschen den Glauben, das Menschsein, den Verstand oder was auch immer abzusprechen. Das wird aber meiner Ansicht nach dem anderen als ganzer Person nicht gerecht. Und es reißt alle Brücken zum anderen ab – was ich sehr schade finde.
Manche Menschen machen das sogar mit Gott so. Wenn er in einem Bereich nicht tut, was sie von ihm erwarten, verurteilen sie ihn als insgesamt unzuverlässig, nicht liebend oder nicht vertrauenswürdig und brechen innerlich die Brücke zu ihm ab. Auch sehr schade.
Was kann man dann tun?
Ich habe für mich zwei Worte gefunden, die mir helfen, mit solchen Enttäuschungen umzugehen: König und Krüppel. Jeder Mensch – ich auch – ist in gewisser Weise König. Er ist jemand, der manche Bereiche seines Lebens vorbildlich gestaltet und darin mit weiser Hand regiert. Vielleicht bewundere ich ihn sogar dafür. Und er ist jemand, der in anderen Bereichen seines Lebens noch „Wachstumspotentiale“ hat, wie es in der Coaching-Sprache so schön heißt.
Am Rande einer S-Bahnstrecke wachsen viele Bäume und Büsche. An manchen Stellen war so viel Gestrüpp, dass der Baum an dieser Stelle keine Kraft hatte, sich auzubreiten. Die Äste waren kaum entwickelt oder verkrüppelt und sehen traurig aus.
Ich denke im Leben vieler Menschen ist das ähnlich. Es gibt Bereiche, in denen sie viel Licht und Wärme hatten und sich stark und gesund entwickeln konnten. Und es gibt Bereiche, in denen Schmerzen, Dornen, fehlende Wärme und Licht zu Verkrüppelung führte. Ich glaube, dass es keinen Menschen gibt, der nur König oder nur Krüppel ist. Was aber macht man, wenn man den Krüppel im anderen erlebt hat und darunter leidet?
Strategien bei Enttäuschung, die ich für hilfreich halte
- Mitgefühl: Zuerst mit mir selbst! Ja, ich bin traurig. Hatte das nicht erwartet, dass in diesem Bereich mich eine Schwäche da ist – und ja, mir fehlt dadurch etwas. Vielleicht Nähe, vielleicht Unterstützung. Enttäuschung ist eine gute Möglichkeit, zu entdecken, was ich brauche – und kreative Wege zu finden, wie ich darin wachsen kann, für mich zu sorgen. Manchmal ist nach einer guten Portion Selbsteinfühlung der Ärger schon verraucht. Manchmal nicht. Dann gibt´s weitere Möglichkeiten.
- Überprüfen der eigenen Erwartungen: Mir passiert es gelegentlich, dass Menschen Erwartungen an mich haben, die ich nicht erfüllen kann und will. Sie wünschen sich von mir kostenlose Prüfung von Manuskripten oder Rat bei Buchprojekten. Möglicherweise sind sie dann enttäucht, wenn ich die Erwartung nicht erfülle. Jeder Mensch hat das Recht, zu entscheiden, wie er handeln will. Ab und an tut es gut, die eigenen ERwartungen und Vorstellungen dessen, was der andere für einen tun sollte zu prüfen: Ist das tatsächlich angemessen? Passt es in sein Leben? In den Rahmen seiner Fähigkeiten? In unsere Beziehung. Das kann entlasten.
- Annahme: Der andere ist, wer er gerade ist: König in manchen Bereichen, Krüppel in anderen. Ich kann mich über das Starke in seinem Leben freuen ohne das Schwache kleinreden (“Schwamm drüber”) oder verurteilen zu müssen. Das wünsche ich mir ja auch für mich selbst, dass ich als Köngin und Krüppel gesehen werde und in den Bereichen, in denen ich noch schwach bin, Annahme und Hilfe geschenkt bekomme.
- Transparente Kommunikation: Wo es in die Situation passt – das eigene Herz mitteilen. „Als ich erlebt habe, dass du…., war ich traurig / hilflos / wütend, weil mir mir Unterstützung / Verlässlichkeit / Empathie / Aufmerksamkeit / … / wichtig ist. Vielleicht berührt es den anderen und löst einen Prozess der Veränderung aus.
- Wachstumsförderung: Vielleicht ist es im Rahmen der Beziehung angemessen, die andere Person bei Veränderung zu unterstützen. Erst kürzlich habe ich einen Bereich in mir entdeckt, wo ich mich selbst als verkrüppelt erlebe. Ich weiß, dass ich das nicht von heute auf Morgen ändern kann. Und freue mich über die Menschen, die mich in meiner noch vorhandenen Schwäche annehmen und mir bei Veränderungen helfen.
- Vertrauen: Wer sein Wohlergehen von einem Menschen oder wenigen abhängig macht, ist anfälliger für Enttäuschung als derjenige, der glaubt, dass die Geschenke des Lebens auf vielfältige Weise zu ihm kommen können. Ich glaube: Was mir der eine Mensch gerade nicht geben kann, weil er in einem Bereich verkrüppelt ist, kann ich vielleicht auf andere Weise bekommen. Durch Gott, durch mich selbst, durch andere Menschen.
So habe ich es dann auch erlebt: Ein Freund, der von meiner Enttäuschung über die Absagen gelesen hatte, hat sich spontan entschieden, mir einen Nachmittag lang an Bord zu helfen. Er hat einen wunderbaren Kasten für die Heizungsanlage an Bord gebaut. Und mein Herz getröstet. Und er erzählt offen davon, dass er in manchen „verkrüppelten“, unsicheren Bereichen seines Lebens darum ringt, neue Stärke zu entwickeln. Ja, das ist, wie es gerade eben ist. Und im Bereich Mitgefühl und Unterstützung ist er in meinen Augen ein König. Das finde ich wunderbar.
…ein schöner berührender Artikel!-Ich glaube wir werden in diesem Leben immer irgendwelche “Baustellen” haben oder “verkrüppelt” sein.Ganz fertig werden wir wohl nicht.Das macht uns sehr menschlich-im guten ,wie im eher unguten Sinn.Aber solange an Baustellen gearbeitet wird…ist sicher anstrengend und oft nervig, für den ,der da bei sich Bearbeitungsbedarf sieht und auch für die ,die immer mit den Baustellen der anderen leben müssen. Aber wie schön,wenn sich doch immer wieder Könige und Königinnen entwickeln können.
alle guten Wünsche!
Danke für die lieben Worte